Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist eine schwere Straftat und Menschenrechtsverletzung. Diese Form des Menschenhandels ist in Deutschland am meisten verbreitet. Jährlich ermittelt das Bundeskriminalamt über 400 Betroffene, dabei werden allerdings lediglich die abgeschlossenen Verfahren gezählt. Es ist von einer deutlich höheren Dunkelziffer auszugehen.
Als Ampel haben wir im Koalitionsvertrag mehrere Vorhaben im Kampf gegen Menschenhandel und zum Schutz der Betroffenen festgehalten. Dazu gehören die Entkoppelung des Aufenthaltsrechts von der Aussagebereitschaft der Betroffenen und die Erarbeitung eines ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel.
In Vorbereitung auf den Nationalen Aktionsplan haben sich am Montag den 19.06.2023 über 110 Teilnehmer*innen zu unserem hybriden Fachgespräch „Menschenhandel: sexuelle Ausbeutung bekämpfen, Betroffene schützen“ im deutschen Bundestag zusammengefunden.
Die Bundesregierung nimmt Menschenhandel in den Fokus
Zu Beginn der von unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Maria Klein-Schmeink MdB eröffneten Veranstaltung konnten die Teilnehmer*innen einen Überblick über den aktuellen Stand der politischen Debatte und Vorhaben der Bundesregierung erhalten.
Die parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums für Familie, Senior*innen, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Ekin Deligöz berichtete den 45 Teilnehmer*innen vor Ort und den 65 digitalen Teilnehmer*innen, dass die Europaratskonvention gegen Menschenhandel im Mittelpunkt der inhaltlichen Arbeit der Bundesregierung steht. Die Bundesregierung habe die Mittel für den bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (KOK) verstetigt und plane den im Koalitionsvertrag beschrieben Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel gemeinsam mit allen zuständigen Ministerien zu erarbeiten. Außerdem werde die Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage für die neu geschaffene Berichterstattungsstelle Menschenhandel beim deutschen Institut für Menschenrechte erarbeiten.
Nach diesem Input durch die Bundesregierung eröffnete Denise Loop, Obfrau im Ausschuss für Familie, Senior*innen, Frauen und Jugend und zuständige Abgeordnete für das Thema Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung als Moderatorin der Veranstaltung das erste Panel der Expert*innen.
Wie kann die Strafverfolgung verbessert werden?
Moderiert von Marcel Emmerich, Obmann im Innenausschuss beschäftigte sich das erste Panel des Abends mit der Bekämpfung von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Dazu waren Expert*innen aus der Justiz, der Praxis und der Strafverfolgung eingeladen.
Dr. Anne Simon OStAin und Leiterin der Abteilung Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei in der Staatsanwaltschaft München I, berichtete über den Spezialisierungsprozess der Staatsanwaltschaft München und ihre guten Erfahrung mit ein gut ausgestatteten staatlichen Gewalt, die Expertise im Bereich Menschenhandel aufbauen konnte. Ohne ein Netzwerk, national wie international, werden Ermittlungen zu oft eingestellt oder nicht aufgenommen. Sie forderte von der Politik, dass die Möglichkeiten für Videovernehmungen vereinfacht werden müssen, wodurch Betroffene nicht neben möglichen Täter*innen im Gerichtssaal zur Aussage gezwungen werden.
Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK e.V., stimmte Frau Simon zu indem sie Berlin und München als best practice Beispiele benannte. Nicht in allen Bundesländern gebe es eine Kooperationsvereinbarung zwischen den Fachakteur*innen, vor allem zwischen Strafverfolgung, Justiz und Beratungsstellen. Sie ergänzte, dass auch im Ordnungsamt, in Migrationsbehörden und Gesundheitsbehörden eine Spezialisierung und Fortbildung entscheidend seien für eine Früherkennung und mögliche Erstberatung von Betroffenen. Das Vertrauen der Betroffenen in staatliche Strukturen sei häufig zu gering, weshalb die Beratungsstellen einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und zur Strafverfolgung leisten können, indem sie Vertrauen aufbauen und sich mit den Behörden vernetzen.
Die Digitalisierung und Menschenhandel 2.0 werde dabei immer wichtiger, so Wirsching. In der aufsuchenden Arbeit online, aber auch bei der Identifizierung von Betroffen und der Beratung.
Als dritte Expertin auf dem Panel berichtete Sylke van Offern, Dezernatsleiterin des LKA 42 in Berlin über die Probleme der Betroffenen. Sie haben häufig wenig Kenntnis über ihr eigenen Rechte und der gesetzlichen Lage bezüglich Prostitution. Auch sie bekräftigte die Vorteile einer spezialisierten Behörde, allein schon weil über Länder und Nationalgrenzen hinweg Zuständigkeiten für Kolleg*innen leicht erkennbar seien und Fälle damit effizienter untersucht werden können.
Um Opfer zu Schützen und als Zeug*innen zu gewinnen, da waren sich die drei Expert*innen zum Ende des ersten Panels einig, kann die Politik einige Rahmenbedingungen verändern. Dazu gehören die Einführung von Videovernehmungen bei Zwangsprostitution, wie es bei anderen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bereits möglich ist. Zwangsprostitution muss dazu im §§174-184I in den Katalog mit aufgenommen werden. Außerdem sei eine schnelle Telekommunikationsüberwachung notwendig, durch die Aufnahme der Zuhälterei (181a) in die Telekommunikationsüberwachung (100a) wäre das schnell umsetzbar.
Mit Blick auf den Nationalen Aktionsplan (NAP) forderten die Expert*innen eine enge Abstimmung mit ihren jeweiligen Bereichen. Der NAP müsse eine strategische Zielsetzung haben, die unter Einbeziehung der zentralen Akteuer*innen abgestimmt wird, damit am Ende alle an einem Strang ziehen.
Sophia Wirsching schloss das Panel mit der Forderung ab, dass die Politik der Bundesregierung in ihren Maßnahmen kohärent sein müsse. Es würde keinen Sinn ergeben, wenn die Politik Strafverfolgungsbehörden, Sozialberatungen und Wissenschaft zum Schutz der Opfer von Menschenhandel ausbaut und gleichzeitig durch eine menschenrechtlich bedenkliche Asyl- und Migrationspolitik die Rahmenbedingungen massiv verschlechtert.
Die politischen Rahmenbedingungen:
Zwischen den beiden inhaltlichen Panels konnten sich die Teilnehmer*innen durch einen digitalen Input von Beate Walter-Rosenheimer, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, anhören, wie sich die politische Rechtslage und internationale Menschenrechtskonventionen über die Jahre verändert haben und der Schutz von Betroffenen dadurch stetig gestiegen ist. Sie erklärte den Zuhörer*innen, dass die EU Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel und das Prostitutionsschutzgesetz in Deutschland große Meilensteine der politischen Handlungen seien, die nun aber weiterentwickelt werden müssen.
Wie kann der Opferschutz gestärkt werden?
Das zweite Panel des Abends mit dem Titeln „Schutz der Betroffenen“ wurde moderiert von Filiz Polat, parlamentarische Geschäftsführerin und stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss.
In diesem Panel wurde diskutiert, wie der Schutz der Betroffenen gleichwertig mit der Strafverfolgung gewährleistet werden kann. Dazu gab Naile Tanış, Leiterin der Berichterstattungsstelle Menschenhandel am Institut für Menschenrechte den Teilnehmer*innen einen Einblick in die in der Wissenschaft bekannte Situation von Betroffenen von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Die neue Berichterstattungsstelle hatte erst im November 2022 ihre Arbeit aufgenommen. Sie soll die Zahlengrundlage für politische Entscheidungsprozesse verbessern. Auf dem Panel forderte Frau Tanış als Teil des NAP eine gesetzliche Grundlage für die Berichterstattungsstelle gegen Menschenhandel, klare Zuständigkeiten, Fristen und finanzielle Mittel.
Als Stimme der Sozialarbeiter*innen sprach Özlem Dünder von der Koordinierungs- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel (Kobra e.V.) aus Niedersachsen. Sie setzte sich auf dem Panel für bessere Schulungen und sachkundige Behörden ein, wodurch unteranderem Gesundheitsberatungen nach dem ProstSchG durchgeführt werden müssen. Außerdem war ihr Hauptanliegen, dass die Bedenk- und Stabilisierungsfrist von Betroffenen in Prozessen derzeit sehr unterschiedlich gehandhabt wird. In manchen Bundesländern dürfen Fachberatungsstellen Anhaltspunkte liefern, in anderen nicht. Eine Vereinheitlichung und Stärkung der Beratungsstellen würde zu einem größeren Vertrauen zwischen Betroffenen und Berater*innen, sowie erfolgreicheren Gerichtsprozessen insgesamt führen. Beim NAP sollten ihrer Meinung nach der Schutz und die Sicherheit im Fokus stehen.
Dabei kritisierte Frau Dünder explizit den §24, 4a des Aufenthaltsrecht, den Aufenthaltstatus aus humanitären Gründen. Die derzeit bestehenden Kriterien, Aussagebereitschaft, Bewertung der Staatsanwaltschaft und Kontaktabbruch mit Täter*innen sei in der Praxis fast nie so schnell umsetzbar wie es notwendig wäre. Hier besteht aus Sicht des Panels ein Überarbeitungsbedarf für Betroffene von Menschenhandel. Das Aufenthaltsrecht kann Betroffenen aus öffentlichen und humanitären Interessen gewährt werden.
Aus dem Bundesinnenministerium hat Dr. Christian Klos, Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit auf dem zweiten Panel gesprochen. Herrn Klos hat betont, dass die Voraussetzung für einen Aufenthalt durch Kooperation mit der Polizei problematisch sei, aber als notwendig für eine effektive Strafverfolgung erachtet wird. Der Gesetzgeber und die Bundesregierung sollten sich die angesprochenen notwendigen Überarbeitungen daher im Detail in einem der folgenden Migrationsgesetztespakete anschauen. Herr Klos betonte, dass die Bundesregierung alle Formen des Menschenhandels in den Blick nehmen wird und sieht Verbesserungsmöglichkeiten im präventiven Bereich, es gehe darum die Nachfrage zu mindern und Befugnisse für Strafverfolgung zu erweitern. Dabei müsse die deutsche Politik immer in die internationale eingegliedert sein.
Auch in diesem Panel wurde betont, dass der NAP besser werden wird, wenn die Zivilgesellschaft schon in der Erstellung eingebunden wird.
Voller Input konnten die Besucher*innen im Anschluss bei einem lockeren Austausch noch weiter über die nächsten Monate und inhaltlichen Punkte zum NAP diskutieren. Als Bundestagsfraktion, das mache Denise Loop in ihrer Schlussrede noch einmal deutlich, wird Bündnis 90/ Die Grünen konstruktiv an dem Thema arbeiten, mit dem Ziel die Rechte der Betroffenen zu stärken und den Menschenhandel noch effizienter zu bekämpfen.